Veranstaltungen 2019
Dies sind Sätze, die den Inhalt der Buchlesung in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth wiedergeben. Der Vater, ein hochgestellter Nazi, sagt seinen Kindern nicht, welche Rolle er im Nationalsozialismus gespielt hat. War er ein Verbrecher oder ein williger Befehlsempfänger? Warum schweigt er über den Tod seines Bruders der Gestapo-Leitstelle Dresden heute noch? Warum fragen die Kinder ihre Väter nicht, was sie getan haben. Wird das auch zukünftig sein, dass diejenigen, die schon wieder beginnen, Hass über Juden und andere Minderheiten auszustreuen, von ihren Kindern vergeblich gefragt werden?
Viele Fragen, die keine Antworten finden, werden in dem Buch „Der Stolperstein“ von Karl, dem Sohn eines überzeugten Nazis, gestellt, als er viele Jahre nach dem Krieg selbst damit konfrontiert wird, als er sich in Sarah Stern, Tochter einer jüdischen Emigrantenfamilie, in den USA verliebte. Eine Geschichte über Kinder von Tätern und Opfern, die über den Schicksalen der Menschen in den Jahren des Holocaust nachdenken lässt, ohne echte Erklärungen für unmenschliche Vergehen.
Um die Wahrheiten dieser Zeit unmittelbar zu erfahren, besuchen Karl und Sarah Karls Familie kurz nach dem Fall der Berliner Mauer in Deutschland und schreiben unter ihren realen Namen Rudi Raab und Julie Freestone einen Roman über ihre Erlebnisse und die menschlichen Begegnungen. Der auf der Familie lastende Schandfleck, dass die Ermordung des Bruders Gerhard des Erznazis als selbstverschuldet hingenommen wurde, weil er sich den Mächtigen nicht gebeugt habe, lastet auf allen Angehörigen.
In Ausschnitten lasen Ingrid Wörlen und Werner Eisenschink Abschnitte des Buches in der Synagoge vor. Die eindrucksvollen Schilderungen wurden durch die weltweit tätige Cellistin Rebecca Rust und Friedrich Edelmann, ehemaliger Solofagottist der Münchner Philharmoniker, mit Musik begleitet, die von den Nazis unterdrückt wurde, weil sie von jüdischen Komponisten stammte. „Dialog“ nannte Hans Gál (1938 von Wien nach Edinburgh geflüchtet) den ersten Satz eines „Divertimentos für Fagott und Cello, op. 90“, dessen Titel leicht nachvollzogen werden konnte, da sich beide im Wechsel rhythmisch und melodisch ergänzten. Die tänzerische „Fughetta“ durchzog eine eigenwillig durchgängige Stakkato-Begleitung, das „Scherzino“ wirkte humorvoll mit unerwartet eingestreuten Motiven. Ein elegisches Cello-Solo klang in hohem Lagenspiel wie ein Klagelied, trug Spuren meditativer Versenkung durch chromatische Verläufe, ein sehr emotionales Stück des Schweizer Juden Ernest Bloch. Eigens für Rebecca Rust und Friedrich Edelmann schuf Max Stern die „Lieder für den Aufstieg“, die er ähnlich wie in den sephardisch-spanischen Liedern mit orientalischen Klängen schmückte. Die Komposition „Elegy and Vision“ des 1953 geborenen Laurence Sherr beendete nachdenklich gestimmt das literarisch bereicherte Konzert. Viel Beifall ernteten Vorleser und Musiker für die emotional bewegende Lesestunde, zusätzlich motiviert durch die Botschaft, dass nach dem antisemitischen Angriff in Halle an der Tür der Hainsfarther Synagoge ein Blumenstrauß abgelegt worden war (emy)