Berichte

9. November 2023

Die Gedenkfeier zur Reichspogromnacht, zu der vom Freundeskreis der ehemaligen Synagoge in Hainsfarth eingeladen worden war, fand große Aufmerksamkeit bei der Rieser Öffentlichkeit, insbesondere bei ihren Repräsentanten. Höchst angemessen und beeindruckend war die öffentlich nicht angekündigte musikalische Begleitung der Feier durch den Oettinger Dekanatskantor Simon Holzwarth, der die Versammelten mit mehreren Kompositionen des zu Unrecht wenig bekannten jüdischen Komponisten Louis Lewandowski in seinen Bann schlug. Nicht zuletzt wurde auch durch seine Mitwirkung möglich, dass der umfassenden Solidarität mit der israelischen Nation durch Ausdruck verliehen wurde, indem sich die Anwesenden am Ende der Veranstaltung zum Klang der israelischen Nationalhymne von ihren Plätzen erhoben und Beifall spendeten.

Nach der Eingangsmusik leitete Hermann Waltz die Gedenkfeier ein, indem er den 35. Psalm vortrug, einen eindringlichen Hilferuf des Beters gegen blutgierige, undankbare, schadenfrohe Feinde, der mit Lobpreis und Dank für Gottes Beistand endet.

Landrat Stefan Rößle zeigte sich in seinem Grußwort dankbar für die rege Teilnahme an der Veranstaltung, und ihm war es vorbehalten, die lange Liste von Amts- und Mandatsträgern vorzutragen, die zu der Gedenkfeier gekommen waren. „Wir dürfen nie vergessen, was vor 85 Jahren geschehen ist!“ war sein Appell. Am 7. Oktober 2023, 6:30 Uhr, sieht er einen neuen Wendepunkt, für Israel und für den Weltfrieden. Israels Selbstverteidigungsrecht ist über jeden Zweifel erhaben, „wir sind bei den Leidtragenden.“ Beschämend und indiskutabel sind die Gleichgültigkeit, Ausgrenzung und Einschüchterung oder gar Anfeindungen gegen Juden haben im Donau-Ries-Kreis und auch sonst nirgends in Deutschland einen Platz. Juden müssen bei uns in Sicherheit und Freiheit leben können.“

Sigi Atzmon, seit 19 Jahren Vorsitzende des Freundeskreises, dankte für die Unterstützung der in Hainsfarth geleisteten Erinnerungsarbeit, zeigtet sich aber tief beunruhigt darüber, dass 85 Jahre nach dem großen Pogrom judenfeindlicher Mob auf offener Straße zur Auslöschung aller Juden aufruft. „Es ist etwas aus den Fugen geraten!“ Wie der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, so sagt auch Sigi Atzmon: „Wir wollen keinen Schutzschild. Wir wollen frei leben und dabei nicht auf Schutz angewiesen sein.“

Dr. Annette Seidel-Arpacı, Oberpfälzerin mit (zur Hälfte) türkischen Wurzeln, hatte es als Leiterin von „RIAS Bayern gegen Antisemitismus“ übernommen, m Rahmen einer Gedenkrede über die seit 2019 bestehende Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Bayern zu berichten. „RIAS ist ein Teil des Versuchs, Antisemitismus zurückzudrängen. Gut sieht die Lage nicht aus.” So beschreibt sie ihre Aufgabe in einem Interview. RIAS ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördert wird.

Bei RIAS Bayern können antisemitische Vorfälle und Diskriminierungen gemeldet werden. Dabei werden auch Vorfälle erfasst und berücksichtigt, die nicht angezeigt wurden oder keinen Straftatbestand erfüllen. Auf Grundlage der gemeldeten Vorfälle und eigener Recherchen verfasst RIAS Bayern anonymisierte Berichte, betreibt Aufklärungs-und Öffentlichkeitsarbeit und trägt so durch ein Sichtbarmachen des tatsächlichen Ausmaßes von Antisemitismus in Bayern zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei. Auf Wunsch von Betroffenen oder Meldenden vermittelt RIAS Bayern Beratungsangebote.

Seit dem 7. Oktober 2023 verzeichnet RIAS verstärkt Übergriffe, Drohungen und Freudenbekundungen über die von HAMAS veranstalteten Massaker – schon bevor die Verteidigung auf israelischer Seite organisiert war! Lehrkräfte rufen nach Hilfe beim Umgang mit antiisraelischer Solidarisierung in ihren Schulklassen. Bei den israelfeindlichen Demonstrationen beobachtet RIAS eine statistisch noch nicht erfassbare Auswirkung der stringenteren Strafverfolgung; die Zahl der bekanntwerdenden Fälle von offen gezeigtem Antisemitismus ist aber immer noch dreimal so hoch wie vor dem Terrorangriff. Die Dunkelziffer ist unbekannt.

Dr. Seidel-Arpacı ermutigte die Anwesenden, ihre für Beobachtung von Vorgängen und Beratung von Opfern bestimmten Einrichtung bei entsprechenden Anlässen zu informieren, egal ob per E-Mail, Post, oder Telefon. Spezifisch auf das Ries bezogene Informationen oder Ratschläge konnte sie nicht anbieten. Allgemein sei es rätselhaft, warum sich die jungen Leute nicht stärker mit den Teilnehmern an dem von HAMAS überfallenen Festival solidarisieren.

In der Diskussions- und Fragerunde wurde u. a. der Zusammenhang des Antisemitismus mit weiteren Verschwörungserzählungen (z. B. „Zwangsimpfung“) erörtert, aber auch überraschende Gegenaktionen wie das demonstrative Reinigen von „Stolpersteinen“ aus Anlass des Gedenktages.

Die Vorsitzende des Freundeskreises sprach zum Abschluss der Gedenkstunde ein jüdisches Gebet zum Gedenken an die Scho’a

Bericht: Rieser Nachrichten (F. Wörlen)


1. Vorsitzende Sigi Atzmon und Dr. Seidel-Arpacı
Dr. Seidel-Arpacı
Sigi Atzmon, Hermann Waltz